Wir haben Angst und wir sind wütend. Vielleicht fühlen wir uns auch macht- oder hilflos, wenn wir daran denken, was der Wocheneinkauf wieder gekostet hat und die monatliche Miete, dass wir jetzt Sandsäcke bei der Gemeinde holen müssen, um unsere Keller gegen den nächsten Starkregen zu schützen oder dass wir drei Monate auf dringende Arzttermine warten. Uns wird gesagt, dass das Essen immer weniger Nährstoffe hat, unsere Kinder durch Corona psychisch belastet sind und wir unsere Eltern selbst und ohne Unterstützung pflegen müssen. Unsere Einkommen und Renten steigen nicht mit unseren höheren Ausgaben durch die Inflation und in der Arbeit haben wir Stress, weil wir wegen der Öffentlichen immer zu spät dran sind. Außerdem erreichen uns immer wieder Horrornachrichten von Gewalt und Verbrechen.
Das alles sind sehr reale Probleme, die sich negativ auf unser Wohlbefinden auswirken und mit Gefühlen der Angst verbunden sind, die wir schnell loswerden möchten. Aber wie? Es ist alles so kompliziert geworden. War es früher nicht viel besser? War das Leben nicht mal leichter? Und wieso tut niemand was dagegen?
Die Lösung all unserer Probleme
Plötzlich kommt jemand, der Lösungen für all das hat. Einfache Antworten, statt noch mehr Baustellen und Probleme. Jemand der einem die Sicherheit gibt: „Macht euch keine Sorgen, ich habe alles im Griff!“. Endlich jemand, der uns versteht, uns unsere Sorgen ernstnimmt und eine strahlende Zukunft verspricht. Und es kommt noch besser: jemand anderes ist schuld an unseren Problemen und wäre der nicht mehr da, wäre alles wieder gut.
Das Versprechen von rechts
Nichts anderes, macht derzeit die extreme Rechte: sie versprechen allen Unzufriedenen einfache Lösungen für komplexe Probleme: das Gesundheitswesen, die Wirtschaft, die Migration und das Klima, wollen uns zurückführen in eine Vergangenheit, in der scheinbar alles besser war und bieten uns immer den perfekten Sündenbock: Migrant*innen, Europa, Bürgergeldempfänger*innen, die anderen Parteien, die Wissenschaft, die LGBTQIA+-Community, die „Woken“, die Feminist*innen, die Klimaaktivist*innen, die Veganer*innen, das Gendersternchen… habe ich noch etwas oder jemanden vergessen?
Diese Feindbilder machen es auch leicht, deren Anliegen zu leugnen: soziale Ungleichheit, Diskriminierung, Klimawandel, Tierwohl, Gewalt gegen Minderheiten, gibt es alles nicht. Gab es noch nie.
Dass diese Ansätze nicht funktionieren und die Probleme sogar verschärfen, zeigt ein Blick über die Grenze, zum Beispiel England nach dem Brexit oder Trumps Amerika, das immer mehr zur wahrgewordenen Dystopie wird. Aber selbst, wenn wir davon ausgehen, dass sie halten könnten, was sie versprechen, was ist der Preis? Denn umsonst ist ja bekanntlich nur der Tod.
Die Kosten
Das sind unter Umständen Dinge, die wir als gegeben hinnehmen, weil die meisten von uns sie nie anders erlebt haben: unsere Demokratie, unsere Freizügigkeit in Europa, unsere Vielfalt und unsere Freiheit. Die extreme Rechte macht kaum einen Hehl daraus, dass sie demokratiefeindlich ist und hört man bei ihren Wahlwerbespots richtig hin, läuft es einem kalt den Rücken runter. Allein schon „Remigration“ klingt nach Deportationen und ethnischen Säuberungen. Ihre Menschenfeindlichkeit hört aber nicht bei Migrant*innen auf, sondern schließt alle ein, die nicht so sind und so denken, wie sie.
Ein gutes Gefühl
Es ist an der Zeit uns einzugestehen, dass wir die extreme Rechte nicht deshalb wählen, weil sie gute Lösungen hat und oder gar die besten Argumente. Um Fakten und rationale Begründungen wird sich schon lange nicht mehr gekümmert, denn praktisch alles, was die extreme Rechte sagt, kann entkräftet und widerlegt werden (außer man hat der Wissenschaft und Fakten bereits vollends abgeschworen).
Nein, wir wählen sie, wegen des Gefühls, das uns das gibt: es ist das „F* you“ in Richtung der bisherigen Machtinhaber*innen, die unseren Unmut zu spüren bekommen sollen und gegen die wir uns auflehnen wollen, weil sie uns zu lange ignoriert haben und das beruhigende Gefühl, dass nun bestimmt alles gut wird, weil wir wieder zum Alten, zum Vertrauten, zurückkehren und Leute unsere Probleme ohne unser Zutun lösen, indem sie „die Schuldigen“ beseitigen. Das haben sie uns doch versprochen. Das ist unglaublich bequem. Schade nur, was wir dafür in Kauf nehmen.
Rechte und Pflichten
Wir alle wollen nur das Beste für uns und unsere Familien. Und so sehen wir uns auch: als gute Menschen, die nur das Beste wollen. Und schließlich haben wir ein Recht darauf, dass es uns gut geht! Aber beim Pochen auf unsere Rechte sollten wir nicht vergessen, dass Rechte auch immer mit Pflichten einhergehen. Unsere Ängste und Unzufriedenheit geben uns nicht das Recht andere in ihren Rechten einzuschränken und mit Füßen zu treten, wofür Menschen vor uns gekämpft haben und was uns überhaupt erst in die Lage versetzt hat unseren Unmut frei äußern zu können. Wir haben die Pflicht es zu bewahren und sollten unsere negativen Gefühle eher als Anlass nehmen etwas zum Positiven hin zu verändern, selbst aktiv zu werden und Menschen mit weniger Rechten zu schützen. Das ist freilich unbequemer, als die Schuld bei anderen zu suchen oder einfach widerstandslos hinzunehmen, was passiert.
Demokratie wählen
Wir mögen es „Meinungsfreiheit“ oder „Volkswillen“ nennen, wenn wir der extremen Rechten unsere Stimme geben oder anderen dabei zusehen. Wir schaffen aber beides damit zukünftig ab, weil die extreme Rechte sich diesen Idealen nicht verpflichtet oder zumindest nicht für alle. Das ist falsch verstandene Demokratie.
Denn wenn alle Zeichen in eine Richtung deuten, dieselbe Sprache und dieselben Narrative wie im Nationalsozialismus verwendet werden, wenn die Geschichte sich wiederholt, dann ist es an der Zeit die Augen zu öffnen und etwas dagegen zu tun, denn „Nie wieder, ist jetzt!“.
Wir alle hätten es gerade gerne anders, besser, einfacher, hoffnungsvoller, aber man muss akzeptieren, dass komplexe Probleme, eben auch komplexe Lösungen haben und dabei Unsicherheiten aushalten, dass eine Rückkehr zu einem „besseren Früher“ nicht möglich ist, weil es eine Utopie ist und dass eine unbefriedigende Demokratie immer noch besser ist als gar keine.
Lasst uns stattdessen darauf zurückbesinnen, was wir schon alles erreicht haben und sich zu schützen lohnt, was uns verbindet und was wir zukünftigen Generationen hinterlassen wollen. Dazu braucht es den Mut etwas zu tun, statt sich von der Angst leiten zu lassen. Am Sonntag haben wir wieder die Möglichkeit, lasst sie uns nutzen! Wählt Demokratie!
Euer Thomas Hack
Fraktionsvorsitzender UBV 85247